Du kennst das Dörfchen Oedwylen zwischen Stans und dem Kernwald.
In den Bergen darüber befindet sich eine gewaltige Höhle, in welcher in uralten Zeiten Heiden gewohnt haben sollen; vielleicht waren es alte Römer, welche in ihrem Lande irgend etwas verbrochen hatten und sich deshalb hierher flüchteten.
Es wird nun wohl nahe an die hundert Jahre sein, seit in dieser Höhle ein grosser Dache hauste, welcher Menschen und Vieh auffrass. Die Bewohner des Dörfchens, das damals Wylen hiess, mussten fliehen, und weil es ganz verlassen und verödet war, herhielt es den Namen Ödwylen.
Auf der Landstrasse, die über das Moor und Weideland an dem Dörfchen vorüber von Stans nach Sarnen führt, durfte sich niemand blicken lassen, auch kein Vieh durfte dort mehr weiden; denn der Dache verbarg sich im Sumpfe und stürzte sich auf alles Lebendige los. Um vor dem Ungeheuer sicher zu sein, musste man eine neue Strasse anlegen, von der heute noch Spuren sichtbar sind.
Die Unterwaldener sandten zuweilen Bewaffnete und Armbrustschützen gegen den Lindwurm aus; dieser war aber sehr wachsam, und sobald er seine Feinde bemerkte, zog er sich in die Höhle des Berges oder an einen anderen Ort zurück, wo er vor Verfolgung sicher war. Er war so flink und gewandt, dass er, wie eine Eidechse, den steilsten Berg hinauflaufen konnte, als ob es ebener Boden wäre.
Von diesem Drachen hörte auch der Ritter Schrutan, der sich ausser Landes befand; denn er hatte einen Unterwaldner, der ihn schwer beleidigt, im Zorne totgeschlagen und war deshalb verbannt worden. Er erbot sich nun, den Wurm zu töten, wenn man zum Lohne dafür den Bann lösen wolle. Da er als tapferer Ritter bekannt war, so nahm man sein Erbieten an und gestattete ihm, in die Heimat zurückzukehren.
Der Ritter machte sich einen langen Spiess zurecht, umband ihn oben mit scharfen Dornen und begab sich auf den Weg, um den Drachen aufzusuchen, den er auch bald fand. Als das Untier sah, dass es nur mit einem einzelnen Manne zu thun habe, fuhr es mit weit aufgerissenem Rachen auf diesen los. Ritter Schrutan stiess ihm mit aller Kraft, die er besass, den Speiss mit den Dornen tief in den Schlund und liess diesen darin stecken. Hierauf zog er sein Schwert und hieb damit auf den Drachen ein, bis dieser, aus vielen Wunden blutend, unter furchtbaren Zuckungen verendete.
Als der Ritter die That glücklich vollbracht sah, hob er beide Arme empor und pries Gott, der ihm seinen mächtigen Beistand verliehen hatte. Dabei hielt er in der Hand noch das blutige Schwert. Von diesem rann das giftige Drachenblut auf die ungeschützten Teile seines Leibes herab, und schon nach wenigen Tagen musste der Tapfere daran sterben, betrauert von der ganzen Gegend, die er von dem bösen Drachen befreit hatte.
Quelle: "Freiheitshelden: Wilhelm Tell, Arnold von Winkelried, Andreas Hofer", J. Nover, Glogau, 1900
Mittwoch, 21. März 2007