Nibelungenlied

Das Nibelungenlied

Im Nibelungenlied ist etwas jüngeren Datums, es stammt aus der Zeit um 1200. Doch erstaunlicherweise ist hier keine Schilderung des Kampfs mit dem Drachen zu finden, wohl aber die Unverwundbarkeit infolge des Bades im Drachenblut. Im dritten Abenteuer erzählt Hagen dem König in einem einzigen Satz unter vielen anderen Heldentaten vom Drachenkampf. In der Strophe 100 finden wir:

Ich weiss noch mehr von ihm, was mir zu Ohren gekommen ist. Einen Drachen hat der Held erschlagen. Er badete sich in dem Blute, und daraufhin hat er eine Hornhaut bekommen. Deshalb verwundet ihn keine Waffe, wie sich schon oft gezeigt hat.

Im 15. Abenteuer ab Strophe 899 verrät Kriemhild das Geheimnis der unvollständigen Unverwundbarkeit an Hagen.

Sie sagte: "Mein Mann ist mutig und dazu überaus stark. Als er den Drachen am Berg erschlagen hatte, badete sich der stolze Kämpfer im Blute. Deshalb hat ihn seither keine Waffe in den Kriegsstürmen verwundet.

Und dennoch bin ich jedesmal in Sorge, wenn er im Kampf steht und viele Geschosse die Hände der Helden verlassen, dass ich dabei meinen geliebten Mann verlieren könnte. Ach, wieviel grosse Angst habe ich oft um Siegfried!

Ich spreche ganz offen zu dir, lieber Freund, damit du deine Treue mir gegenüber hältst, und ich lasse dich deshalb wissen, wo man meinen lieben Mann tödlich treffen kann. Dies geschieht aber in vollstem Vertrauen.

Als aus den Wunden des Drachen das heisse Blut herausfloss und der tapfere, gute Ritter sich darin badete, fiel ihm zwischen die Schulterblätter ein ziemlich breites Lindenblatt. An dieser Stelle kann man ihn verwunden, und deshalb mach ich mir grosse Sorgen."

Da sagte Hagen von Tronje: "Näht ein kleines Zeichen auf sein Gewand. Dadurch weiss ich, wo ich ihn schützen kann, wenn wir im Sturme stehen." Sie glaubte, damit ihren Helden zu retten, doch gerade dies führte zu seinem Tode.

Sie sagte: "Mit kleinen Seidenstichen nähe ich auf sein Gewand ein kaum sichtbares Kreuz. Dort soll deine Hand, treuer Held, meinen Mann beschützen, wenn es Ernst wird, also immer dann, wenn er im Sturm vor seinen Feinden steht."

"Das mache ich", sagte Hagen, "meine liebe Herrin." Da glaubte Kriemhild fest daran, es sollte Siegfried von Nutzen sein. Aber damit war ihr Mann verraten. Hagen verabschiedede ich und ging froh hinweg.

Hagen lässt keine Zeit verstreichen und teilt sein neues Wissen umgehend dem König mit, der im 16. Abenteuer eine Jagd veranstaltet. Als sich Siegfried nach ausgiebiger Jagd durstig an der Quelle zum Trinken niederkniet, wird er von Hagen in der Strophe 981 mit seinem eigenen Schwert erstochen.

Als Herr Siegfried über die Quelle gebeugt trank, schoss Hagen durch das Kreuz hindurch, so dass aus der Wunde viel Blut vom Herzen bis an Hagens Kleidung sprang. Eine so folgenschwere Untat wird nie wieder eine Held begehen.

Hagen liess ihm den Speer im Herzen stecken. So unbändig wild war er noch nie und nirgends von einem Mann geflohen. Als Herr Siegfried seine schwere Verwundung bemerkte,

sprang er tobend von der Quelle auf. Ihm ragte ein langer Gerschaft zwischen den Schulterblättern hervor. Der Fürst hoffte, Bogen oder Schwert zu finden. Dann wäre Hagen seinem verräterischem Dienst entsprechend entlohnt worden.

Als der Todwunde das Schwert nicht fand, hatte er nicht mehr zur Verfügung als seinen Schild. Er riss ihn von der Quelle hoch und rannte damit Hagen an. Da konnte ihm König Gunthers Gefolgsmann nicht entkommen.

Wie nah dem Tode er auch war, Siegfried schlug doch noch mit solcher Kraft zu, dass sich aus dem Schilde viele Edelsteine herauslösten, als dieser völlig zerschellte. Der herrliche Gast hätte sich gerne gerächt.

Hagen war durch Siegfrieds Hand zu Boden gestürzt. Von der Wucht dieses Schlages erdröhnte die gesamte Halbinsel laut. Hätte Siegfried das Schwert griffbereit gehabt, wäre es Hagens Tod gewesen. So gross war der Zorn des Verwundeten, und dazu hatte er wahrhaftig allen Grund.

Er war bleich geworden und konnte nicht mehr stehen. Die Stärke seines Körpers musste abnehmen. Denn er trug das fahle Zeichen des Todes. Später wurde er von zahllosen schönen Frauen beweint.

Da sank Kriemhilds Gemahl in die blühende Wiese. Blut sah man aus seiner Wunde unaufhörlich fliessen. Da begann er in der grossen Not, die zu verfluchen, die treuelos seinen Tod beschlossen hatten.

Der Todwunde sagte: "Ja, ihr erbärmlichen Feiglinge, was nützen mir meine Dienste, da ihr mich nun erschlagen habt? Ich bin euch immer treu ergeben gewesen: das habe ich jetzt mit dem Leben bezahlt. Ihr bringt durch eure Tat Schande über euer ganzes Geschlecht.

Jeder Spätergeboren wird nach diesem Ereignis mit einem Makel behaftet sein. Ihr habt euren Zorn viel zu sehr an mir gerächt. Mit Schande sollt ihr von den aufrechten Kriegern geschieden sein."

Alle Ritter liefen dorthin, wo er erschlagen lag. Das war für sie ein freudloser Tag. Wer auch nur etwas Treue verspürte, der beklagte ihn. Das hatte der kühne und stolze Ritter in der Tat verdient.

Das Drama nimmt seinen Lauf; die Rache der Kriemhild ist unbeschreiblich.

Quelle: Das Nibelungenlied (Neuhochdeutsche Fassung), Philipp Reclam jun. GmbH & Co., Stuttgart, 1999

Runendrache im Urnesstil

Back

Vorheriger Eintrag Seite im Baum lokalisieren
Nächster Eintrag

Top

Drucken

Runendrache im Urnesstil

Montag, 9. Juni 2003