Es gab einmal auch in unserer Gegend einen grausigen, feuerspeienden Lindwurm, wie er uns sonst nur in den alten Sagen und Märchen aus andern Landschaften begegnet.
Er hatte seine riesige Höhle unter einem überhängenden Felsen bei der Sitter, wo er ständig auf der Lauer lag, und niemand war mehr seines Lebens sicher, und Angst und Schrecken verbreiteten sich im Land.
Eine unheimliche Bedrohung war er aber für die Bewohner der wasserumrauschten Burg Spisegg. Die Burg besass einen einzigen Ausgang, das war das Tor gegenüber dem Drachenloch. Niemand getraute sich unter Tag aus der Burg, denn der Drache stürzte sich wie ein Unwetter auf den armseligen Menschen. So konnte man nur nachts hinaus, und auf Schleichwegen musste man die Nahrung in die Burg bringen.
Der Ritter von Spisegg, als mutiger und entschlossener Mann bekannt, hatte lange, lange mit sich gerungen, eines Tages gab er seinen Entschluss bekannt, den Drachen zu töten. Alle erschraken, wenn sie dem Ritter auch die nötige Kraft zutrauten; aber durch keine Einwendungen liess er sich von seinem Vorsatz abbringen.
Eines bestimmten Tages zog er seine Rüstung an, nahm Schild und Schwert und ritt mit seinem Pferd zum Tor hinaus, begleitet von den Wünschen und Gebeten der dabei Zurückbleibenden. Niemand weiss etwas von diesem Kampf, der furchtbar gewesen sein muss, aber der Ritter kehrte als bestaunter und bejubelter Drachentöter heim, Burg und Land waren befreit.
Das Loch aber, wo der Drache gehaust hatte, und die Mulde, wo er erschlagen worden war, tragen bis zum heutigen Tag zur Erinnerung an diese denkwürdige Geschichte den Namen "Drachenloch".
Bis in die zweite Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts hing am Fels beim Drachenloch eine Sandsteintafel, auf welcher der Kampf des Ritters mit dem Drachen dargestellt war. Niemand weiss mehr, wer die verschwundene Tafel angebracht hatte, auch kein Bild ist von ihr erhalten; alte Leute allein haben sie im Gedächtnis behalten.
Quelle: "St.Galler Sagen: Sagen aus der Stadt St. Gallen und ihrer Umgebung", Dino Larese, F. Reinhardt, 1967
Dienstag, 20. März 2007