Der "Siwiboden" liegt im Norden des Saasthales auf dem östlichen Bergabhange. Als sehr vorspringender Bergrücken wird er leicht auch aus beträchtlicher Ferne sicht- und bemerkbar. Er liegt in der Höhe, wo die Holzregion aufhört.
Die Gletscher der grossen Eisepoche haben diesen Boden auch bestrichen, doch nur mehr in dünnen Schichten; in kleiner Entfernung nach oben hören die Bergfelsen auf, abgeschliffen zu erscheinen und sie treten wieder mit scharfen Kanten hervor. Nordwärts dieses grossen bergrückens, der das Thal bedeutend verengt, fielen die Gletscher beträchtlich; das Geschneidende und das Ungeschliffensein der Felsen geht tiefer in's Thal herab.
Durch den "Wattwaldbach" wird der Siwiboden von der "Wattwaldalpe" - einer schönen, aber auffallend futterarmen Alpe. Weit ausgedehnte, mit Erde und Rasen wohl belegte Ebenen tragen wir fast kein Gras - mögen zu mager sein. Wenn die neue Wissenschaft solchen magern Weiden etwa auf die Beine helfen könnte, würde sie gewiss grosse Verdienste haben. - Die Sage will diesen Grasmangel einem Fluche zuschreiben, den eine übermüthige Bauersfrau, die im Ueberflusse Gottes Gaben entehrte, dieser einst fetten und fruchtbaren Alpe zugezogen. Auch soll einst immer grosser Zank geherrscht haben in der Abässung der Abätzung dieser Alpweiden.
Vom Siwiboden erzählt die Sage Manches. Unter anderem soll am Fusse des obern Bergabhanges, wo jetzt ein grosser Steinschutt den Boden bedeckt, eine Stadt oder ein Dorf gestanden haben, aus welcher einst ein Trupp Ritter auf einer Spazierfahrt in einem wenig entfernen Bergweiler das Abendessen genommen. Dieser Weiler heisse darum jetzt "Rittermahl"? Die Sage erzählt auch, ein Mann habe einst auf dem Siwiboden eine schöne, reichgeschmückte Frau getroffen, (Andere sagen ein Ross) die ihm offenbarte, sie habe im Leben nahe an der Stadt gewohnt und viel Geld besessen. Sie sei nun aber verurtheilt, diese ihre Schätze so lange mühselig zu hüten, bis sie selbe an Mann bringen und so erlöst werden könne. Wenn er etwa dazu Lust habe, so wolle sie ihm das Mittel angeben; es sei nun nöthig, ihr einen Kuss zu geben; jedoch müsste sie ihre Gestalt verändern. Der Mann versprach, das Mögliche zu thun. Froh entferne sich die Frau, ihm noch versichernd, er hätte gar nichts zu fürchten, es werde ihm kein Leide wiederfahren.
Bald kreiselte unter furchtbarem Bergekrachen in grossen Krümmungen eine abscheuliche Schlange heran. Dem Manne wurde eiskalt; er bereute sein Versprechen - Als aber die Schlange zu ihm heran und über ihn hinauf kroch, am Ende noch den garstigen Mund zum versprochenen Kusse darbot, da lag des guten Mannes Muth gebrochen darnieder; er konnte die Schlange nicht küssen, die arme Frau nicht erlösen und die reichen Schätze nicht gewinnen. - Unter herzbrechendem Geheule entfernte sich die verzweifelnde Schlange. Sehr verzagt kehrte unser Mann zu den Seinigen nach Haus zurück; er zog folgenden Tages traurig papierne Schuhe an und ging damit nach Rom, von woher er noch nicht zurück ist.
Quelle: "Walliser Sagen", Gesammelt und hrg. von Sagenfreunden, Sitten, 1872
Montag, 19. März 2007