Der Drache von Sundlauenen

Gemeindewappen Beatenberg

Der Drache von Sundlauenen

Vor Zeiten, als im Berner Oberland die Wälder noch viel grösser, die Dörflein viel kleiner waren, hauste in einer Höhe nahe bei Sundlauenen, die heute Beatushöhle genannt wird, am Thunersee ein fürchterlicher Drache. Hinter Tannen versteckt, steckte er den stachligen Schwanz tief, tief in das finstere Loch. Kein Mensch wagte in der Nähe vorbei, kein Tierlein hüpfte herum. Oefters sassen schwarze Raben auf dem Felsen über der Höhle; aber wenn der Drache seinen dampfenden Schnauf ausschnaubte, flogen sie mit Gekrächz hinweg bis über den See.

Unter den Krallen des Drachen lag ein grosser Stein, in seiner Mitte ein wenig eingehöhlt, wie eine Schale. Das war der Opferstein. Auf diesem hatten in früherer Zeit Priester das Opfer gerichtet, als die Menschen noch zu den alten Göttern beteten, bevor der Christus zur Erde gekommen war. Damals kamen die Menschen zur Höhle, wenn die Sonne den Wintergang wendete, der Mond in vollem Lichte strahlte, wenn ein neuer Stern am Nachthimmel aufglänzte, oder die Blitze mit mächtigem Krachen die Eichbäume zerschlugen.

Als der letzte Priester starb, war keiner mehr, der den Rauch zum alten Götterhimmel schicken konnte. Ueber der Höhle herauf wuchsen Baum und Gestrüpp. Und wenn am dämmernden Abend die Menschen in den Hütten beisammen sassen, erzählten sie sich vom Priester, von Opferrauch und den verlorenen Göttern.

Der Urgrossvater wusste zu berichten, dass nach einem eisigkalten Winter der Drache die Höhle genommen. Woher er gekommen, wusste kein Stein. Doch den Graus, der er greulich verrichtete, kannten Jäger und Hirte, Bauer und Fischer. Dem Jäger wurde Wild und Wald verwüstet; dem Hirten raubte er Schaf und Kuh mitten aus der Herde. Manche Bauer hat er vom Pflug, manchem Fischer zum Kahn heraus geraubt.

So lebten die Leute von Sundlauenen und enetUebersetzungen dem See in viel Angst und Kümmernis. Kein Tag konnte sie recht erfreuen, keine Nacht fanden sie gute Ruh.

Beatus Wanderschaft

Gar weit reisten Beatus und Justus in der Welt umher. Anfänglich hörte Justus immerfort dem Worte seines Lehrers zu. Später half er auch verkündigen. Wenn Beatus sprach, war es wie Sonnenlicht, bei Justus wie der Mond; denn so wie die Sonne von ihrem Licht dem Mond gibt, so gab Beatus die Botschaft an Justus.

Die Beiden kamen durch den Aargau in die innere Schweiz. Vielerorts wo sie predigten, bauten die Heiden aus Opfersteinen den Altar, die Kapelle.

Am Zugersee sprach Beatus zu schlechten Ohren und steinigen Herzen. Dort wurde er von Heiden ergriffen. Sie warfen ihn zu Boden und schlugen mit Stöcken seinen Rücken. Justus fand ihn auf der Erde liegend, mit Striemen bedeckt. Als Justus jammerte und klagte, sprach Beatus: "Sei stille, mein Bruder, wie die Hagelkörner schmelzen, so vergehn auch die Striemen."

Die Wanderschaft führte das Unterwaldnerland hinauf gegen den Brünig. Dort oben habe Beatus lange auf einem Steine geruht, der später Beatenstein hiess. Wenn hernach ein Wanderer auf diesen Stein gesessen, sei ihm nicht nur alle Müdigkeit aus den Gliedern geschwunden, sondern auch der Kummer im Herzen leichter geworden. Heute weiss niemand mehr, welcher Stein das ist oben am Brünig.

Die armen Leute von Sundlauenen

Vom Brünig herunter schritt Beatus mit Justus den steilen Weg ins Haslital. Dem Brienzersee entlang führte der Pfad zum Thunersee, wo die alten Hütten des Dörfleins Sundlauenen standen. Beatus sprach zu Justus: "Mein lieber Bruder, nicht lange mehr kann ich die Reise von Land zu Land tun. Aelter wird mein Schritt, schwerer der Stab. Schau den schönen See, das weite Tal, die vielen Hütten und Dörflein. Hier möchte ich bleiben und den Menschen, die hier wohnen, ein guter Hirte sein. Fände ich nur eine Höhle, sie wäre mir das rechte Haus." Sprach Justus: "Dann lass auch mich in der Nähe bleiben, dass wir zusammen sind wie zwei Augen, wie zwei Hände."

Beatus und Justus wussten aber nicht, dass in dieser Gegend die Höhle mit dem fürchterlichen Drachen war, worin in früher Zeit die Priester den Göttern opferten. Sie hatten nicht vernommen, was der Urgrossvater erzählte, dass in einem eisig kalten Winter das schreckliche Tier eingezogen sei, welches nun alle Menschen plageUebersetzungen, Acker und Feld verwüste, Schaf und Kuh raube.

Müden Schrittes kamen die Beiden gegen eine Hütte des Dörfleins Sundlauenen. Sonne und Himmel waren von Wolken bedeckt; düster zogen Nebel über Berg und See herauf. Weder Mann noch Frau, weder Kind noch Hund waren zu sehen. Aus der Hüttentüre stieg Rauch, trüber Rauch. Es hatte die Hütte kein Fenster, kein Kamin.

Arme Leute von Sundlauenen sassen darin im Finsteren; nur das Herdfeuer gab schwachen Flackerschein. Zur Türe herein gaben die Wanderer guten Gruss. Furchtsam kam er zurück, ängstlich versteckten sich die Kinder im rauchigen Dunkel. Endlich trat ein alter Mann, gebeugt am Stock, zu den Fremden und sprach: "Geht weiter den Weg, wo es glücklichere Menschen gibt; hier findet ihr nur Kummer und Elend, keine Milch und kein Brot." - "Guter Mann", sprach Justus, "wie kann das sein? seh ich doch Wiesen und Aecker!" - "Schau den Acker, er ist leer, auf der Wiese keine Kuh, Wisst ihr den nicht, dass ihr nahe dem Drachenloch seid, wo das schreckliche Tier sein Unwesen treibt? Wagt sich doch kaum der Fischer auf den See, die Netze zu werfen."

Kummervoll erzählte der Alte alle Not. Aus den anderen Hütten kamen nach und nach Männer, Frauen, Kinder und Greise herzugetreten, so dass um die Wanderer bald das ganze Dörflein im Kreise stand. Beatus sah wohl dass zu allem Elend kein Fünklein Trost in den Herzen der armen Leute leuchtete.

"Zuerst muss der Drache stürzen, dann werden auch ihre Herzen offen für die gute Botschaft", dachte er. Mit fester Stimme fragte er: "Wer führt mich hin zum Drachenloch?" Erschrocken sahen die Leute im Kreise umher. Endlich trat ein Fischer hervor und sprach: "Ich will dich in meinem Kahn über den See rudern gegen die Höhle. Mit dir zusammen fürcht ich mich nit!" Doch Justus wollte Beatus zu böser Stunde auch nahe sein; so stieg er mit ins Schifflein. Bald fuhren sie auf den Wellen. Dem Fischer war es, als wäre das Wasser sanfter und glätter wo sie durchfuhren, und er dachte bei sich: "Mit diesem Mann muss eine starke Kraft sein, dass vor ihm die Wellen stiller werden."

Dem Ufer nach zog viel Volk. Aber weit von der Höhle weg hielt es sich im tiefen Wald versteckt und wartete mit ängstlichen Herzen, was wohl kommen möchte.

Der Drachenkampf

Als das Schifflein am Seeufer unterhalb des Drachenloches angefahren, stieg Beatus den Berghang hinauf gegen die Höhle. Zu Justus machte er ein Zeichen, er solle hinter ihm warten. Durch Tannen und Büsche hörte man ein kratziges Schnaufen. Wie Beatus näherging, sah er an der FluhUebersetzungen den stinkigen Atem des Drachen aufsteigen wie Dampf und Rauch; der verderbte jede Pflanze, die er bestrich, verbrannte jedes Gräslein, das er berührte. Der Fels war denn auch ganz kahl und angeräuktUebersetzungen, die nächsten Bäume dürr und tot.

Beatus starke Seele kannte keine Furcht. Durchs letzte Gebüsch tretend, sah er mitten ins Schauerloch. Dort lag der Drach, Hörner und krumme Zacken staken auf GrindUebersetzungen und Rücken. Ueber die fürchterlichen Krallen lief ein giftiger Schleim, welcher von seiner geschwollenen Zunge niederseuferteUebersetzungen. Kaum erblickten die roten Augen den Gottesmann, so fing sein Schuppenschwanz an, wüst und wild herumzuschlagen. Er bewegte den Grind; grässlich sperrte der Rachen sich auf; wie Feuer schoss ein brennender Schnauf aus dem Schlund.

Aufrecht stand Beatus, rief heilige Worte ins Höllenloch. Immer grimmiger fletschten die Drachenzähne; der mächtige Leib krümmte, zuckte. Unter seinen Schuppen rollten Steine, scharrte die Erde. Plötzlich zischte er hervor. Ein Feuerhauch schoss aus dem Rachen. Mit weitem Arme schlug Beatus als Zeichen das Kreuz. Dies heilige Zeichen war des Drachen grösster Schreck; wie Schuss und Donnerklapf fuhr er hoch in die Luft und stürzte in weitem Bogen hinunter in den See. Kochend heiss brodelte das Wasser auf. Aber aus dampfenden Wellen fuhr er noch einmal hoch, bis zur Fluh hinauf. Dort schlug sein Schwanz mit grässlicher Kraft in den Stein, dass der Fels erschütterte. Schrecklich brüllte er und fiel herab in die Wellen. Wie auch das Wasser um ihn zischte und kochte, er versank im tiefen See.

Alsbald wurde es im Uferwald lebendig. Rufen und Jauchzen klang durch die Tannen. Es waren die Sundlaunener. Zitternd hatten sie sich während des unheimlichen Kampfes hinter Waldsteinen und Baumstämmen niedergeworfen; nun stiegen sie jubelnd der Höhle zu. Justus eilte ihnen entgegen und führte sie zu Beatus. Kaum erblickten sie diesen, riefen viele Stimmen: "Er hat den Drachen besiegt, er hat den Drachen besiegt, kniet nieder und betet ihn an!"

Beatus wehrte und sprach: "Nicht meine Kraft ist es, die euch errettet, ich will euch erzählen, wer meinen Arm und mein Wort stark gemacht hat." Und wie sich die Sundlauener vor der Höhle niederliessen, erzählte Beatus seine Botschaft.

Die Sundlauener baten gar sehr, er möchte bei ihnen wohnen, boten ihm Haus und Dach; aber Beatus blieb bei der Höhle. Mit dem Wasser, das als Bach aus dem Drachenloch floss, taufte er Heiden zu Christen.

Noch heute zeigt man das Drachenzeichen oben an der Felswand.

Auszüge aus: Beatus, Legende zur Christianisierung der Schweiz, J. Streit, Troxler Verlag, 1940

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Montag, 19. März 2007