Das HexenEinMalEins

Familienerbe

Meiner Grossmutters Vater mütterlicherseits hat eine Theorie entwickelt, wie das Hexeneinmaleins aus Goethes Faust sinnvoll zu interpretieren sei.
Mein Grossvater väterlicherseits war in jungen Jahren ans Bett gefesselt und hat zum Zeitvertrieb und zur Stärkung der Lunge laut Goethe aufgesagt und auswendig gelernt.

Da lag es nahe, dass ich anlässlich eines runden Geburtstags meines Grossvaters am unvermeidlichen Familienfest aus Goethes Faust rezitieren und gleichzeitig meines Urgrossvaters Theorie erläutern musste.

Es gibt viele Lösungen dieses Rätsels im Netz, aber keine, die sich mit derjenigen meines Urgrossvaters messen könnte, da sich mit Hilfe dieser Erklärung aus einem fortlaufend gefüllten 3x3-Quadrat ein vollständiges magisches Quadrat ergibt: Der Originaltext der Aufzeichnungen meines Urgrossvaters sind in dieser Schrift gehalten.

Die Lösung des Hexeneinmaleins
von Richard Witte
Mit Behagen hat der alte Goethe die vergeblichen Versuche der Faust–Ausleger verzeichnet, die hinter diesen Tiefsinn, wenn es einer war, zu kommen versuchten, und noch ein Jahr vor seinem Tode hat er schmunzelnd geäussert, dass einige gute Spässe im ersten Teil der Tragödie der Welt kürzere oder längere Zeit Kopfzerbrechen machen würden. Er hat recht behalten, denn am Hexeneinmaleins sind alle gescheiter, bis es jetzt, hundert Jahre nach seinem Tode, gelungen, dieses krause Versspiel Zeile für Zeile überraschend zu entziffern und den lange vermissten Sinn restlos aufzuhellen.

Schon früher hatte ein Goetheforscher die Vermutung geäussert, dass Goethe auf ein magisches Zahlenquadrat hinauszukommen habe, war aber in der Lösung steckengeblieben. In der Tat müssen wir von einem Zahlenquadrat ausgehen, und zwar von dem einfachsten, welches die neun Zahlen, aus denen unser ganzes Einmaleins besteht, in ihrer Reihenfolge so zeigt:

Ausgangslage
1 2 3
4 5 6
7 8 9
Und nun beginnt die Hexerei, wobei alles absichtlich dunkel, dafür aber für den Wissenden völlig verständlich, wie es der Brauch unter Schwarzkünstlern ist, ausgedrückt wird.

Aus Eins mach Zehn, nämlich statt der vorläufig aus dem quadrat gezogenen Eins wird als Hilfszahl eine Zeh eingesetzt.

Und Zwei lassen, und Drei mach gleich, nämlich die Zwei lässt man ein Feld weiter gehen, und mit der Drei macht man das Geiche. Das hat einen allgemeinen Zahlenschub zur Folge, so dass nun als letzte Zahl im Quadrat die Acht steht, während die Neun keinen Platz mehr hat.

Aus Eins mach Zehn
und Zwei lass geh'n,
und Drei mach gleich,
so bist du reich.
10   2
3 4 5
6 7 8

Die 9 ist überzählig

Es gibt eine erste Bahn mit der Summe 15

Verlier die Vier, die vorläufig verschwindet, aus Fünf und Sechs, nämlich an deren neuen Stelle, mach Sieben und Acht, so ist's vollbracht. Die Endlösung bereitet nämlich jetzt, wie wir sehen werden, wenn wir sie kennen, nicht mehr die geringsten Schwierigkeiten.
Verlier die Vier,
aus Fünf und Sechs
mach Sieben und Acht,
so ist's vollbracht.
10   2
3 5 7
8    
Die 4 ist verloren, was mit der 6 geschehen soll, ist nicht definiert.

Es gibt nun bereits eine Diagonale und eine Waagerechte mit der Summe 15

Allerdings macht es uns die Hexe nun nicht einfach. Aus Neun mach Eins! Das bedeutet, dass die Neun vor die Zwei rückt, es bedeutet aber auch, da Neun und Eins gleich sind, dass die Eins hinter die Acht rückt.

Und Zehn ist keins, denn sie verschwindet jetzt, indem sie sich in ihre beiden Bestandteile weniger Vier und weniger Sechs auflöst, also zu nichts wird, während die Vier und die Sechs an die beiden einzigen Felder des Quadrats rücken, die zuletzt noch frei sind.

Ist das alles genau ausgeführt worden, so ergibt sich folgendes Bild.

Und Neun ist Eins
und Zehn ist keins
das ist das Hexeneinmaleins.
4 9 2
3 5 7
8 1 6
Durch die Auflösung der 10 in 6 und 4 finden alle wieder ein Plätzchen.

Geschafft, überall ist die Summe 15,
das magische Quadrat ist vollendet.

Das ist das Hexeneinmaleins!

Was wir hier vor uns haben, ist das einfachste, aus sämtlichen Ziffern unseres Einmaleinses gebildete Magische Zahlenquadrat. Zählt man die darin enthaltenen Zahlen einer Reihe waagerecht oder senkrecht zusammen, oder zählt man schräg von einer Ecke zur anderen, wie man will, immer kommt 15 heraus.
Wenn man das weiss, merkt man erst, dass die Hexe neckisch genug in ihren Versen die Lösung zweimal dem Hörer nahegelegt hat. "So bist du reich", sagt sie in dem Augenblick, wo es eine erste 15–er–Reihe gibt.
"So ist's vollbracht", bemerkt sie augenzwinkernd an dem Zeitpunkt, wo bereits eine waagerechte und eine schräge Reihe die Fünfzehn ergeben, so dass nun die richtige Unterbringung der noch ausstehenden nur noch ein kleines Geduldspiel ist.

Solche magische Quadrate habe in der Schwarzen Kunst aller Zeiten eine grosse Rolle gespielt. Dem heutigen Gebildeten ist ein anderes besser bekannt, das Vierreihige, welches im Hintergrunde von Dürers "Melencolia" neben dem Stundenglas an der Wand angebracht ist und dessen Zahlen nach jeder Richtung zusammengezählt 34 ergeben. Aber das Neundziffrige des Hexeneinmaleinses war noch viel verbreiteter. Es findet sich auf Amulettenmünzen des 16. Jahrhunderts, also aus der Zeit, wo Faust gelebt hat, und es ist nicht ausgeschlossen, dass es dem eifrigen Münzensammler Goethe auf diesem Wege bekanntgeworden ist. In gewissen lichtscheuen Zaubernbüchern, die heute noch als Volksorakel umlaufen, wie im Romanus- und im Grossen St. Christoffersbuche werden solche magischen Zahlenquadrate noch immer als kräftige Segen empfohlen. Der Zusammenhang mit der Hexenküchenszene, in der  Faust sich um dreissig Jahre verjüngen lassen will und unter dem Spott des Teufels von der Hexe mit einem Zahlenspiel genarrt wird, ist also ohne weiteres nach dieser geistreichen Lösung gegeben.

Runendrache im Urnesstil

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Dienstag, 27. März 2007